Berlin (pag) – Triage-Kontroverse: Auf einer Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) kritisieren Ärzte und Patienten sowie Medizinethiker und Juristen den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes, den das Kabinett kürzlich beschlossen hat.

Ausdrücklich wird mit diesem Gesetzesentwurf die Ex-Post-Triage verboten, das heißt der Abbruch einer noch erfolgsversprechenden und vom Patientenwillen getragenen Behandlung zugunsten eines anderen Patienten mit einer höheren aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit. So drückt es das Bundesgesundheitsministerium aus. Einen vorangegangenen Entwurf, der diese Möglichkeit durchaus vorsah, hat Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach wieder zurückgezogen. Später bezeichnete er die Ex-Post-Triage als unethisch.

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Dass der aktuelle Gesetzentwurf ausschließt, bereits laufende lebenserhaltende Therapien bei sehr schlechter Erfolgsaussicht zugunsten der Behandlung von Menschen mit einer besseren Überlebenschance zu beenden, stößt bei der Bundesärztekammer auf Widerstand. Zahlreiche Fachgesellschaften haben in einer Stellungnahme diese Regelung kritisiert: Sie erschwere die Anwendung des Kriteriums der Überlebenswahrscheinlichkeit und führe zu mehr vermeidbaren Todesfällen, heißt es.

Bei der AWMF-Veranstaltung hebt Mukoviszidose-Patient Stephan Kruip hervor, dass nach Behandlungsbeginn die Erfolgsaussicht der Therapie wesentlich besser beurteilt werden könne. Es könne daher durchaus sein, dass die Möglichkeit für eine Reevaluation gerade für Behinderte die Chance erhöhe, nachher behandelt zu werden, sagt er. Denn Behinderte seien besonders auf einen freien ITS-Platz angewiesen, weil sie ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf hätten. „Deshalb ist das mit der Ablehnung der Ex-Post-Triage aus meiner Sicht nicht so ganz einfach“, sagt Kruip.

Abgrenzungsprobleme im klinischen Alltag fürchtet Intensivmediziner Prof. Uwe Janssens angesichts des Verbots der Ex-Post-Triage – und zwar in Bezug auf die Therapiezieländerung, „die wir in der Intensivmedizin unabhängig von Pandemie und Ressourcenbeschränkung immer vornehmen“. Das Verbot werde ein sinnvolles patientenzentriertes Handeln mit Therapiezieländerung in entsprechenden Situationen – unabhängig davon, ob die Ressourcen beschränkt sind oder nicht – erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen, glaubt Janssens. Er prophezeit erhebliche Unsicherheiten beim ärztlichen Personal.

 

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